Hans-Peter Schmitz als Flötenlehrer an der MusikAkademie Detmold

 von Gunther Pohl

Zuerst erschienen in: Hochschule der Künste Berlin (Herausgeber): Hans-Peter Schmitz.

Festschrift aus Anlass der Emeritierung von Prof. Dr. Hans-Peter Schmitz, Berlin 1982.

 

Hans-Peter Schmitz redeten wir mit "Herr Doktor" an, denn Professoren gab es viele an der Hochschule, Doktoren hingegen wenige. Schmitz war stets Berliner geblieben, auch während seiner Detmolder Zeit. Er hatte seine Unterrichtseinteilung so gewählt, dass er im Abstand von etwa zwei Wochen für je eine Woche nach Detmold kam.

 

In dieser Woche erhielten wir drei bis vier Stunden und oft noch zusätzliche Kammermusikproben. Am Ende einer Unterrichtsperiode, es war meist ein Samstag, war jeweils um 14.00 Uhr ein Klassenvorspiel, das bis etwa 17.00 Uhr dauerte und durch ein – von ihm spendiertes – Kaffeetrinken aufgelockert wurde. In diesen Klassenvorspielen musste möglichst jeder Studierende auftreten, immer mit eigenen Begleitern, also Pianisten oder Cembalisten, bzw. Kammermusikpartnern, aber nicht mit einem Korrepetitor. Es war Schmitz sehr wichtig, die Musik als Einheit zu probieren und nicht nur den Flötenpart durchzunehmen. Wir hatten es als Flötisten glücklicherweise nicht schwer, einen Begleiter zu finden, da alle Studenten von den Proben begeistert waren und viel davon profitierten.

 

Jedem neuen Studierenden wurde ein ‚älteres Semester’ als Pate zugeteilt – eine sehr schöne Einrichtung. Man hatte so für die Zeit, die Schmitz nicht in Detmold war, einen direkten Ansprechpartner und Mentor in der ersten, oft schwierigen Zeit, als ausschließlich Tonstudien auf dem Plan standen.

 

Da Detmold Schmitz’ Unterrichtsstätte war, bildete sich dort, was man heute die Schmitz-Schule nennt. Aufgebaut auf seinen zwei Bänden der "Flötenlehre", mit großem Gewicht auf Tonstudien, wurden uns Haupt- und Nebenwerke der gesamten Flötenliteratur dargebracht. Immer wieder überraschte er uns mit Noten aus Berlin, die niemand kannte – oft auch, weil es sie nicht mehr oder noch nicht wieder zu kaufen gab. Heute so populäre Werke wie Carl Stamitz’ Konzert G-Dur op. 29 – damals noch nicht verlegt – spielten wir bereits aus handgeschriebenen Kopien.

 

Das Flötenzimmer lag im obersten Stock des Palais der Detmolder Hochschule. Es war das Zimmer 33, und Schmitz liebte zu sagen: "Wir hier in 33..." Kam man zu Beginn des Unterrichts um 9.00 Uhr mit ihm die Treppe hoch, so musste man schon sehr eilen, denn Schmitz stürmte sie geradezu hinauf. Blieb man zurück, so musste man schon einmal ein "Kommen Sie schon in die Jahre?" einstecken.

 

Was er auch machte, es war von einer phänomenalen Intensität. Hörte er sich zum tausendsten Mal ein h1 im piano an, so hatte man nie den Eindruck, dass er auch nur einmal geistig abwesend war. Jeder Ton wurde kommentiert, und das in feinst ausgewählten Formulierungen. Etwas wohl Einmaliges seiner Unterrichtsmethode war, dass er nie vorspielte. Er hatte seine Flöte gar nicht in Detmold. Und das Besondere war: Wir hatten nie das Bedürfnis, dass er uns etwas vorspielen möge, so gut konnte er uns seine Klangvorstellungen mit Worten und Lauten darstellen. Ich habe Schmitz tatsächlich nie live spielen hören. Sein Flötenspiel kenne ich nur von Schallplatten- und Rundfunkaufnahmen. Er wollte damit erreichen, dass seine Schüler das direkte Imitat ihres großen Lehrers vermieden. Allerdings erforderte diese Methode auch die intellektuelle Fähigkeit, die Dinge nach abstrakter Vorlage umzusetzen.

 

Nach der Künstlerischen Reifeprüfung wurden wir angehalten, möglichst bei einem anderen Lehrer weiter zu studieren, zum Beispiel in Paris bei Gaston Crunelle oder in Zürich bei André Jaunet. Oft haben wir erst in dieser Zeit bei einem anderen Lehrer begriffen, was wir bei Schmitz Hervorragendes lernen konnten.

 

An damals unüblichen Werken spielten wir: Marin Marais, „Les Folies d’Espagne“ nach dem Faksimile, das in Schmitz’ „Kunst der Verzierung im 18. Jahrhundert“ abgedruckt war, in d-Moll und in der Besetzung Flöte/Continuo mit den originalen Bässen – natürlich nicht alle 32 Variationen; ferner Johann Sebastian Bachs Gambensonate g-Moll (BWV 1029) in einer möglichst selbst hergestellten Fassung für Flöte, Gambe oder Violoncello und Continuo und Bachs h-Moll-Suite in solistischer Besetzung mit Flöte, Streichquintett und Cembalo; und lange vor dem Gitarren-Boom: Mauro Giuliani, Große Sonate A-Dur für Flöte und Gitarre op. 85; und vor der Romantik-Nostalgie von heute: Friedrich Kuhlau, Euryanthe Variationen op. 63 und Grande Sonate a-Moll op. 85 für Flöte und Klavier.

 

Meine Studienzeit in Detmold bei Hans-Peter Schmitz war für mich die bisher schönste Zeit meines Lebens. Ich bin ihm sehr dankbar dafür.